Analyse und Forderungen zur Agenda 2022

Kathrin Jarz zum Regierungsübereinkommen in Graz aus Frauen- und Gleichstellungssicht

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Kathrin Waldhauser-Jarz

Die Agenda 2022 ist das Regierungsübereinkommen zwischen der Grazer VP und der Grazer FPÖ für den Zeitraum von 2017-2022. Das Dokument hat um die 43 Seiten und gliedert sich in die 12 folgenden Arbeitsfelder:
• Starker Wirtschaftsstandort,
• Bildung und Familie,
• Mobilität und Verkehr,
• Maßvolle Stadtentwicklung,
• Sicheres, gepflegtes und sauberes Graz,
• Umwelt und Energie,
• Sport, Freizeit und Gesundheit,
• Kunst und Kultur,
• Integration und friedliches Zusammenleben,
• Wohnen,
• Soziales,
• Budgetpfad

Mario Eustacchio sagt zur Agenda 2022: „Diese Agenda ist Ausdruck zu Papier gebrachter Politik. Natürlich findet man dabei sowohl die Handschrift der ÖVP als auch die der FPÖ wieder.“ Was es tatsächlich bedeutet, die Handschrift einer FPÖ und teilweise auch einer ÖVP zu tragen, fassen die Politikwissenschaftlerin Liebhart Karin sowie Maria Rösslhummer mit den Worten zusammen: Rechtskonservative und rechtspopulistische Politiken reduzieren Weiblichkeit auf die Rolle der Reproduktion, des Mutterdaseins und der Gebärfähigkeit. Dieser Reduktion liegt ein biologistisches Menschenbild zugrunde, das von einer natürlichen, essentialistischen Ungleichheit zwischen den Geschlechtern ausgeht. Aus der so festgeschriebenen „hierarchisch definierten bipolaren Positionierung ‚gleichwertiger’, aber biologisch bedingt ‚verschiedener’ Geschlechter, leitet sich die grundlegende Aufgabenteilung zwischen Mann und Frau in der Gesellschaft ab.
Maria Rösslhummer konstatiert weiter, dass das Anerkennen ja selbst die Erwähnung einer strukturellen Benachteiligung von Frauen im Erwerbsleben, in der Politik oder im gesellschaftlichen Alltag prinzipiell nicht Teil der der rechtskonservativen Ideologien sind. Demensprechend kann auch keine Forderung nach Maßnahmen zur Beseitigung dieser entstehen und genau das zeigt uns auch die Agenda 2022.

Außer dem Hinweis, dass „Die Unterzeichner dieses Dokuments bekennen sich ausdrücklich zur Gleichstellung der Geschlechter. Dies soll auch stark sowohl in unserem persönlichen Handeln als auch in unserem politischen Wirken zum Ausdruck kommen. Gleichzeitig legen wir jedoch auch großen Wert auf eine einfache und verständliche Sprache und verwenden daher im vorliegenden Text keine Gender-Formulierungen.“ finden sich im gesamten Dokument keine Anhaltspunkte, welche Ziele bzw. Maßnahmen im Sinne der Gleichstellung geplant und verfolgt werden. Dass Frauen zugunsten einer verständlichen Sprache mitgemeint werden sollen, entspricht nicht einer wertschätzenden Beschäftigung mit diesem Thema. Wie aus Studien hervorgeht, schafft Sprache Realitäten und damit Ausgrenzung.
Laut dem GR-Beschluss vom 18.10.2012 gibt es einen Beitritt der Stadt Graz zur EU-Charta der Gleichstellung von Frauen und Männern auf lokaler Ebene, damit hat sich die Stadt Graz verpflichtet, alle Menschen nicht nur nach dem Steirischen Gleichbehandlungsgesetz "gleich" zu behandeln, sondern auch die Gleichstellung von Frauen und Männern in allen Politiken und Lebensbereichen umzusetzen. Dazu gehört auch die Verwendung geschlechtergerechter und gendersensibler Sprache sowie diskriminierungsfreier Bildsprache.
Die oft zitierte Passage: "Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird hier nur die männliche Form verwendet. Selbstverständlich sind beide Geschlechter gleichermaßen angesprochen", ist unzureichend. Dies ist in der Richtlinie 10 der Legistischen Richtlinien 1990 des Bundeskanzleramtes explizit geregelt.

Bekenntnisse gibt stattdessen zur „Pflege unserer Traditionen und der Volkskultur“, bourgeoisen Familienkontruktionen, z.B. sollen Spielplätze im Freien durch die Ordnungswache schwerpunktmäßig kontrolliert werden, um für Familien einen ungestörten Aufenthalt sicherzustellen. Der Pflichtschulbereich selektiert Kinder nach Talenten, der Grazer Stärkenpass soll diesbezüglich weiter entwickelt werden.
Auch Demonstrationszonen sollen eingerichtet werden, damit das Recht auf Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung nicht zu Lasten jener Menschen geht, die den öffentlichen Raum anderweitig nutzen möchten oder müssen. Dass Menschen z.B. auch das Aufsteirern zur Last fallen kann, wird selbstverständlich nicht erwähnt.
Dass alle anfangs erwähnten Themenbereiche ohne frauenspezifische und gleichstellungsorientierte Analyse, Zielsetzung und Maßnahmenplanung auskommt, irritiert sehr. Auch das Argument, es handle sich um ein Regierungsprogramm und beinhalte nur die gemeinsamen Ressorts kann nicht akzeptieren werden, da auch Umwelt und Gesundheit, die andere Zuständigkeiten haben, in der Agenda ausführlich erwähnt wurden.

Für (Frauen)-organisationen sowie für BürgerInnen wesentliche gesellschaftspolitische Themenbereiche wie Sexismus, Gleichstellung oder Diskriminierung nicht zu verschriftlichen, ist Ausdruck einer mangelnden Wertigkeit und Anerkennung der Lebenssituation und Bedürfnissen von Frauen sowie deren VertreterInnen.

Frauen bilden mittlerweile die Mehrheit der Grazer Bevölkerung, trotzdem wird diese Tatsache in der Agenda 2022 nicht berücksichtigt.
Die Unterrepräsentation der Frauen in der Stadtregierung, im Gemeinderat, in der gehobenen Verwaltung und in den Tochtergesellschaften der Stadt Graz sowie in den immer deutlicher zutage tretenden Rückschritten in der Gleichstellung von Frauen und letztendlich die nicht vorhandenen Maßnahmen zur Förderung von Frauen in der Agenda 2022, geben das eindeutiges Zeichen, dass Frauen- und Gleichstellungspolitik keinesfalls ein Anliegen der neuen Koalition ist. Es wird weder angestrebt, den Frauenanteil in der Stadtregierung und im Gemeinderat zu erhöhen, noch gibt es wirksame Maßnahmen der Stadt zur Schließung der Einkommensschere z. B. in stadteigenen Betrieben und Tochtergesellschaften. Darüber hinaus gibt es auch Ziele, deren Umsetzung sich auf Frauen indirekt diskriminierend auswirken. Beispiel: Die beabsichtigte Änderung des Punktesystems zur Vergabe von Gemeindewohnungen, bei der künftig ehrenamtliche Tätigkeiten Punkte bringen sollen. Es dürfte hinlänglich bekannt sei, dass Frauen den größten Anteil der unbezahlten Arbeit – Haushalt, Kindererziehung, Pflege von Familienangehörigen u.a.m.- leisten und wohl kaum Zeit für ehrenamtliche Vereinstätigkeiten haben. Andrerseits haben Frauen auch geringere Einkommen und sind besonders als Alleinerzieherinnen sehr auf leistbaren Wohnraum.

M.A. Kathrin Jarz, BA
 

Veröffentlicht: 8. Juni 2017