Antibabypille und Feminismus – Eine ambivalente Beziehung
Anita Strassers Serie "Gleichberechtigt im Jahr 2019?"
Nach jahrzehntelangem Kampf für Gleichberechtigung werden aktuell immer wieder Stimmen laut, die meinen, der Kampf sei nun zu Ende und die Gleichberechtigung bereits hergestellt. Ist das wirklich so?
Die (Antibaby-) Pille
Ihre Einführung, Ende der 1960er Jahre, war ein Katalysator der Emanzipationsbewegung. Diese kleine, unscheinbare Pille ermöglichte es Frauen endlich, die lang ersehnte Unabhängigkeit und Selbstbestimmung aktiv zu leben. Nach anfänglicher Skepsis, gesetzlichen Restriktionen und großer Zurückhaltung bei der Verschreibung trat das kleine Wundermittel trotz moralischer und religiöser Aufschreie seinen Siegeszug, vor allem in den USA und in Europa, an.
Zwei Seiten einer Medaille
Obwohl das erhöhte Thromboserisiko schnell erkannt wurde, wehrte sich die Pharmaindustrie über Jahrzehnte dagegen, weiteren Pillen-Nebenwirkungen auf den Grund zu gehen. Frauen, die über Gewichtszunahme, Migräne, Depressionen oder den Verlust der Libido als Nebenwirkung berichteten, wurde ihre Urteilsfähigkeit abgesprochen. Ein Zusammenhang zwischen der Einnahme der Antibabypille und den Beschwerden wurde bestritten. Diese Praxis änderte sich erst, als Dänemark seine elektronischen Patientenakten auswerten lies: Anonymisierte Daten von mehr als 1 Million Frauen zwischen 15 und 34 Jahren aus den Jahren 2000 bis 2013 belegten eine signifikant erhöhte Depressionsrate bei Einnahme hormoneller Verhütungsmittel. Ausgehend von der Europäischen Arzneimittelagentur EMA wurden Pillenproduzenten Ende 2018 angewiesen, Depressionen und in weiterer Folge sogar ein erhöhtes Suizidrisiko als mögliche Nebenwirkung im Beipackzettel anzuführen.
Andere Maßstäbe bei der Pille für den Mann
Warum gibt es eigentlich noch keine hormonellen Verhütungsmittel für Männer? Geforscht wurde bislang an vielen Präparaten, bis zur Marktreife hat es keines geschafft. Grund: Die männlichen Probanden klagten über Nebenwirkungen wie beispielsweise Depressionen und schwächere Libido…
Für uns Frauen sind Nebenwirkungen wie Stimmungsschwankungen bis hin zu Depressionen, Kopfschmerzen bis hin zu Migräne und Thrombosen bis hin zu Embolien also nach wie vor „okay“ während Männern vergleichbare Nebenwirkungen nicht zuzumuten sind?! Der Gedanke, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird, beschleicht nicht nur mich.
Ist Verhütung (auch) Männersache?
Es stellt sich die Frage: Fühlen sich Männer für Verhütung überhaupt verantwortlich? Oder kommt es vielen Männern ganz gelegen, dass sie durch noch nicht verfügbare Verhütungsmedikamente ihren Teil der Verantwortung „leider“ nicht in dem Ausmaß wahrnehmen können wie Frauen?
Ohne diese Bequemlichkeit Männern pauschal unterstellen zu wollen, ist es für mich schwer vorstellbar, dass die Menschheit zwar seit einem halben Jahrhundert zum Mond fliegen kann, aber gleichzeitig nicht in der Lage ist, akzeptable Verhütungsmedikamente für Männer zu entwickeln. Möglicherweise liegt es hier mehr am Wollen als am Können…
Fazit
Dieser Text ist keinesfalls als Streitschrift gegen die Antibabypille zu verstehen! Die Antibabypille hat dem Kampf um Gleichberechtigung in der westlichen Welt mit bislang unvergleichlicher Effizienz gedient. Auch Frauen, die nie selbst die Pille eingenommen haben, profitieren noch heute von den gesellschaftlichen Veränderungen, die durch die breite Verfügbarkeit dieser Verhütungsmethode überhaupt erst möglich geworden sind.
Dennoch sollten wir uns endgültig von den Jahrzehnten der Verharmlosung von Pillennebenwirkungen verabschieden. Von unkritischen ÄrtzInnen, die Teenagerinnen gewohnheitsmäßig und ohne über Nebenwirkungen vollinhaltlich aufzuklären ein Pillenrezept für eine schönere Haut in die Hand drücken. Frauen, die von Nebenwirkungen berichten, müssen ernst genommen werden und Gehör finden. Schließlich ist die Einnahme der Antibabypille vor allem eines: Eine Hormontherapie. Und so sollten wir sie auch benennen!
Liebe Männer!
Übt keinen Druck auf eure Partnerinnen aus, sich für eure eigene Bequemlichkeit dieser Hormontherapie zu unterziehen. Denkt daran, dass ihr damit verlangen würdet, Risiken und Nebenwirkungen zu ertragen, die für Männer gar nicht erst zugelassen wurden.
Signalisiert Pharmafirmen, dass es eben nicht okay ist Frauen stärkere Nebenwirkungen als Männern aufzubürden. Zeigt ihnen, dass ihr bereit seid, euren Teil der Verantwortung zu tragen und fordert aktiv die Entwicklung neuer Verhütungsmethoden für Männer.
Ausblick
Zum Schluss noch ein kleiner Lichtblick: Momentan befinden sich zwei vielversprechende hormonfreie Verhütungsmedikamente für Männer in der Entwicklung. Das Vasalgel* und ein Spermienenzym-hemmender Wirkstoff*. Hoffen wir, dass es dieses Mal für die Marktreife reicht!
*Vasalgel =Kunststoffgel, das direkt in den Samenleiter injiziert wird und den Weg der Spermien blockiert
*Wirkstoff 11-Beta-MNTDC schwächt das Enzym, das für das Eindringen in die weibliche Eizelle verantwortlich ist.
Veröffentlicht: 15. Juli 2019