Doppelkinn und Wimmerl am Hintern

Gegen die Verkörperlichung von Kritik bei weiblichen Akteurinnen

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Frauendemo 2015

Kate Tempest hat mit„Worauf Du Dich verlassen kannst“ ihren ersten Roman geschrieben. Tempest ist eine großartige, berührende Slam-Poetin (bei „War Music“ etwa bekomme ich wahrlich Gänsehaut https://www.youtube.com/watch?v=dH797RUNJIY) und Rapperin, wie sie es schon früher mit ihrer Band „Sound of Rum“ bewiesen hat (https://www.youtube.com/watch?v=yayIbyPa6sw). Das hießt aber noch lange nicht, dass sie deshalb auch einen guten Roman schreiben kann, darin hat die Rezensentin Korinna Henning ganz recht  (http://www.ndr.de/kultur/buch/-Kate-Tempest-Worauf-du-dich-verlassen-kannst,tempest108.html).  Trotzdem hat mich die Kritik fürchterlich aufgeregt. Denn anstatt es dabei zu belassen zu sagen, dass es stilistisch wohl etwas überbewertet wird, tappt Henning in die von Kritik an weiblichen Künstlerinnen aber auch Politikerinnen wohlbekannte Körperlichkeitsfalle. Wenn auch gutmeinend, lobt sie Kate Tempest als „wohltuend unperfekt inmitten all der frisch gewaschenen und glatt gebügelten Püppis aus den Castingshows: vierschrötig, ein bisschen ungelenk, in weiten Hosen und Shirts, mit einem Gang wie ein Matrose läuft sie über die Bühne.“ O.K., dass die Person der Schriftstellerin nicht komplett von ihrer Literatur zu trennen ist, dem kann ich zustimmen. Doch das betrifft doch in der Regel eher deren biographischen oder politischen Hintergrund – oder was hat ihr Gang, der übrigens einem klassischem Rap-Gehabe entspricht, das bei Männern niemand kritisiert, mit ihrer Fähigkeit zu schreiben zu tun?

Sofort kommt in der Kritik natürlich der Vergleich mit „Girls“-Regisseurin und Hauptdarstellerin Lena Dunham, die ähnlich toll auf der „Welle der demonstrativen Nachlässigkeit“ reite. „Aha“, denke ich mir, erinnere mich an „Girls“ und klicke mich durch ein paar Videos mit Lena Dunham, in denen sie immer super gestylt ist. Das finde ich zumindest, denn Styling hat ja nichts mit Angepasstheit und kiloweise Schminke zu tun. Zufällig stoße ich auf ein Gespräch zwischen Dunham und Miranda July (https://www.youtube.com/watch?v=s2IFv6MxETo), die ich als Multimedia-Künstlerin und Regisseurin schon lange verfolge und mag; und muss daran denken, dass auch ihr Buch „Der erste fiese Typ“ völlig gehypt wurde. Sehr zu Unrecht, wie ich finde. Ich hab es nur geschafft es durchzulesen, weil ich im Zug nix anderes dabei hatte – aus dem Fenster zu schauen wäre wohl spannender gewesen. Aber auch bei July betonten Kritiker_innen wiederholt nicht etwa ihren tollen Schreibstil (wie auch?), sondern wie toll es sei, was diese so zierlich und zerbrechlich wirkende Frau alles schaffe. Dabei zeigt sie das eh selbst, nicht unironisch, in ihrem Video „A Handy for the Easily Distracted“ https://www.youtube.com/watch?v=Yc57X0j_UwM.

Egal also ob positiv oder negativ: wenn die Arbeit von Frauen bewertet wird, steht oft nicht eigentlich deren Arbeit im Vordergrund, sondern deren Körperlichkeit. Dabei meine ich nicht nur so fiese Kommentare, wie sie von FPÖlern und Identitären gegenüber Stefaie Sargnagel geäußert werden. Dass die Rechten Sargnagel nicht mögen, ist klar. Aber das liegt wohl eher nicht daran, dass sie sie nicht attraktiv finden, sondern an ihrer dezidiert antifaschistischen Einstellung. In den Kommentaren jedoch steht die körperliche Abneigung oft im Mittelpunkt (auch physisch gesehen, denn hier wird unter der Gürtellinie argumentiert) und reicht bis zu sexualisierten Drohungen. Ein anderes Beispiel: Helene Hegemann – die hat in ihrem Roman „Axolotl Roadkill“ seitenweise abgeschrieben ohne das zu deklarieren. Das ist ziemlich dumm und gehört kritisiert. Aber ob sie darüber hinaus den Kritikern wenig attraktiv erscheint, ist einfach nur purer, stumpfsinniger, antifeministischer Biologismus. Dass ein Mensch, der seine Tage hinter dem Schreibtisch verbringt, nicht aussieht wie aus einem Fitnessvideo, ist eigentlich eh logisch. Aber trotzdem hat sich z.B. bei T.C. Boyle, dessen jüngsten Roman „Hart auf Hart“ ich ebenfalls nur mittelmässig fand, niemand gefragt, ob er nach Fertigstellung Wimmerl am Hintern hatte vom langen Sitzen. 

Politikerinnen geht es in dieser Hinsicht nicht viel anders. Eine Auswertung über die Internet-Kommentare zu „Mutti Merkel“ (über dieses Mütterlichkeitsding schreibe ich jetzt nichts – dazu gibt es einen guten Artikel von Dorothee Beck im Buch „O Mother, Where Art Thou?“i) wäre einmal spannend: wie viele davon betreffen ihre Kleidung oder ihre Frisur, wie viele beziehen sich allein auf politische Entscheidungen? Und auch die austauschbaren österreichischen Innenministerinnen wurden nicht selten mindestens in gleichem Maße aufgrund ihres Aussehens wie für ihre wirklich hässlichen politischen Entscheidungen (Grenzzäune etwa) beurteilt. Ich bin einmal gespannt, wie die medialen Nachrufe auf die scheidende Grazer Vizebürgermeisterin aussehen werden. Was wird eine größere Rolle spielen: dass sie z.B. die Unabhängige Frauenbeauftragte abgeschafft hat, oder ihre Leidenschaft für schicke Schuhe? Und wird das Styling der neuen Vizebürgermeisterin Thema werden? Ich bin gespannt!

Christine Braunersreuther   

 

Veröffentlicht: 8. Juni 2016