Herr Kocher und die Teilzeit der Frauen
Anne Rieger zur skurrilen Debatte über Teilzeitbeschäftigte
"Teilzeit weniger attraktiv machen" – mit dieser Ansage in "Profil" hat Arbeitsminister Kocher im März eine skurrile Debatte über Teilzeitbeschäftigte initiiert. Eine ziemlich freche Herangehensweise des Herrn Ministers. Sie impliziert, dass Frauen - und es sind hauptsächlich Frauen, die Teilzeit arbeiten - mit Begeisterung Teilzeitarbeit übernehmen, weil sie angeblich so attraktiv ist. Und damit die Frauen das nicht mehr tun, müsste die Teilzeit unattraktiv gemacht werden. Und drei Wochen später legt er in der Wiener Zeitung nach: Frauen müssten "Wahlfreiheit" bei der Arbeitszeit haben.
Was für ein Hohn, was für eine Überheblichkeit, was für eine Unwissenheit des Ministers über die Arbeits- und Lebensbedingungen von Frauen.
Wie sieht die Wirklichkeit aus? Ein Drittel aller Teilzeitbeschäftigten in Österreich haben vor allem deshalb keine Vollzeitstelle, weil sie sich um Kinder oder pflegebedürftige Angehörige kümmern müssen. Das zeigen die Erhebungen die Eurostat 2019 durchführte. Als weitere Gründe für Teilzeitarbeit wurde angegeben, dass frau keine Vollzeitanstellung gefunden habe oder Krankheit, Behinderung, Aus-, Fort- oder Weiterbildung u.a. mehr sie hindere. Die Arbeiterkammer hat erhoben, dass fast zwei Drittel der Teilzeitbeschäftigten "kaum oder gar nicht" mit dem Einkommen auskommen.
Wann wäre - im Interesse der Frauen - Teilzeit weniger attraktiv? Wann könnten wir von tatsächlicher Wahlfreiheit sprechen? Wenn es kurze - gut bezahlte Vollzeit für alle - gäbe, z.B. eine 30- oder gar 25-Stundenwoche, bei vollem Lohnausgleich, damit frau davon leben, eine volle Pensionsversicherung zahlen kann sowie bei vollem Personalausgleich, damit nicht in gekürzter Zeit, der gleiche Umfang an Arbeit verrichtet werden muss. Und damit Männer zumindest gesetzlich festgelegt, mehr Zeit hätten, sich um Care-Arbeit zu kümmern.
Nicht bezahlbar?
Das sei ja gar nicht zu bezahlen wird uns entgegen gehalten. Wirklich nicht? Schauen wir die Lebensrealität von Aktionären an. Wenn die Andritz AG heuer - während der Pandemie - die Dividenden-Ausschüttung verdoppelt, die Aktionäre sich 104 Mio. Euro auszahlen, der Boss, Wolfgang Leitner, alleine 32,7 Mio. Euro erhält, stellt sich schon die Frage, wieso solch erarbeitetes Geld nicht den Beschäftigten zufließen kann. Ein anderes Beispiel wie Magna lässt die gleiche Frage aufkommen. Dort erarbeiteten die Beschäftigten im vierten Quartal 2020 so viel, dass der Gewinn je Aktie mehr als doppelt so hoch war wie im vierten Quartal 2019.
Klar, nicht jedes Unternehmen träumt von solch immenser Ausbeutung. Aber eine Umverteilung der Profite weltweit agierender Konzerne zugunsten der Beschäftigten, kleiner Unternehmen und mit Steuern zugunsten des Staates, wäre allemal drin, eben auch zugunsten verkürzter bezahlter Vollzeit.
Noch ist nicht bekannt, wie Herr Kocher die Teilzeit "weniger attraktiv" machen will. Nebulös behauptet er, das Steuer- und Abgabensystem mache Teilzeit attraktiv. Um sie weniger attraktiv zu machen, bräuchte es eine große Reform des Steuer- und Sozialsystems. Es ist zu befürchten, dass er, bei seiner Unkenntnis der Lebenswirklichkeit der Frauen, die sogenannte Unattraktivität durch finanziellen Bestrafungen im Steuer- oder Abgabensystem erreichen will, wenn Frauen Teilzeit arbeiten (müssen). Oder will er sie sogar ganz aus dem Arbeitsleben verdrängen, damit es sich für sie finanziell angeblich gar nicht mehr lohnt, arbeiten zu gehen? Damit sie dann beim distance learning und homeschooling noch mehr Bildungs- und Betreungsaufgaben für ihre Kinder übernehmen?
Protest und Widerstand
Es ist dringend notwendig Herrn Kocher von uns aus deutlich zu machen, wie unsere Lebenswirklichkeit sich anfühlt. Seine katastrophale Unkenntnis darüber hat er im Profil-Interview auch dadurch bekannt gemacht, dass er meinte "die Corona-Pandemie habe in punkto Frauen-Gleichberechtigung zu Schieflagen geführt". Mit Erstaunen nimmt frau wahr, dass der bisherige wissenschaftliche Direktor des Instituts für Höhere Studien nicht bemerkt hat, dass es in Punkto Gleichberechtigung in Österreich schon seit Jahrzehnten im Argen liegt. Bedauerlich, dass er erst mit der Pandemie die "Schieflagen in Sachen Gleichberechtigung" erkannt hat. Immerhin wußte er, dass "die Teilzeitquote von Frauen mit 47 Prozent enorm hoch" ist und stellte fest: "Wir brauchen mehr und bessere Kinderbetreuungsplätze, wir brauchen mehr Beteiligung der Väter." Wenn er dafür die politischen und gesetzlichen Voraussetzungen schafft, sind wir ganz bei ihm.
Wir vergessen nicht die Frauen die Teilzeit arbeiten wollen und die es sich leisten können.
Ob sie es aber immer noch wollten, wenn die Vollarbeitszeit mit vollem Lohn- und Personalausgleich drastisch verkürzt würde? Gar manche würde es sich überlegen.
Veröffentlicht: 9. April 2021