Hochaktuell: Interview zum Frauenstreiktag in der Schweiz "Sitzen für die Zukunft"
Lotti Baumann, Präsidentin des Landfrauenverbandes, hat für 14. Juni von 15:30 bis 16:45 zum Sitzstreik aufgerufen für gerechtere Verteilung der Hausarbeit
Am 14. Juni tun einige Aargauer Landfrauen das, was für sie am Ungewöhnlichsten ist; sie tun nichts. Denn Lotti Baumann, Präsidentin des Landfrauenverbandes, hat für 14. Juni von 15:30 bis 16:45 zum Sitzstreik aufgerufen für gerechtere Verteilung der Hausarbeit.
Ein Interview von Christine Braunersreuther
Lotti Baumann arbeitet hart. Für eine Bäuerin ist das nicht verwunderlich. Aber derzeit arbeitet sie noch viel härter, nämlich an sich selbst. Die Präsidentin des Landfrauenverbandes hat vier Kinder großgezogen und immer alles so gemacht, „wie es urlange schon so in uns Frauen gespeichert ist und wie es seit Generationen schon so gemacht wird“ - nämlich dass Frauen immer für die Haushaltsarbeiten und die Kinder zuständig sind und ganz selbstverständlich aufstehen und rennen, wenn etwas getan werden muss. Doch jetzt hängt vor Lotti Baumanns Hof eine violette Fahne mit geballter Faust. Jetzt ruft Lotti Baumann die Aargauer Landfrauen für 14. Juni zum Sitzstreik auf, weil sie findet, die Frauen dürften nicht weiter alles so hinnehmen wie bisher, müssten sich auch einmal beteiligen und nicht immer nur im Hintergrund sein und die ganze Hausarbeit machen.
Frau Baumann, wie kamen Sie auf die Idee zu einem Frauenstreik? Sie haben einmal gesagt, die Erkenntnis sei Ihnen am Weihnachtsabend gekommen.
LB:
Ja - „Gopfriedstutz“ habe ich mir am letzten Weihnachtsabend gedacht, als ich mit meiner Tochter und der Schwiegermutter den Abwasch gemacht habe, während die Männer Wein getrunken und diskutiert haben. Aber eigentlich war das nur die Erleuchtung. Die Idee mit dem Streik hatte ich schon früher. Durch meine Funktion bin ich Mitglied des Runden Tisches, da kommen Frauen aus allen Organisationen und Parteien aus dem Kanton zum Austausch zusammen. Da kamen mal die Gedanken und Ideen zu einem Frauenstreik auf und ich wurde gefragt: „Machst du mit?“ Und es war sofort ein Wunsch von mir, dass sich die Landfrauen da einmal beteiligen und nicht immer nur im Hintergrund sind. Wir waren immer versteckt hinter dieser Vorgabe, dass wir politisch neutral sind. Politisch neutral – das hieß, sich immer im Hintergrund halten. Das wollte ich nicht mehr. Ich habe das dann im Vorstand besprochen und alle waren sich einig: DAS machen wir.
Aber wie sind Sie dann gerade Weihnachten darauf gekommen, dass Sie sich nicht nur irgendwo anschließen wollen zu einem Streik, sondern selber dazu aufrufen wollen?
LB:
Dieses Beispiel mit Weihnachten war nur so ein Beispiel, dass man die ganze Zeit Vieles hinnimmt und nicht überlegt, ob es wirklich so sein muss, wie es halt immer ist und immer war. Das ist ja nicht nur bei mir so. Ich habe viel in Bauersfamilien ausgeholfen früher im Haushaltsservice und da war es immer so, dass wenn etwa am Mittagstisch das Kind schreit weil es irgendwas braucht, dann steht die Mutter auf und holt es und wenn dem Mann etwas fehlt, dann geht sie auch und holt. Das sind so kleine Sachen, aber da ist ein Umdenken nötig. Das braucht wirklich Arbeit, dass man es als Frau, wenn man es nicht anders gewöhnt ist, dann aushält zu sagen: „Hol es dir doch selber.“
Und bei uns Landfrauen bleibt es ja nicht dabei, dass wir das zu Hause machen. Es sind dann vielleicht die Eltern, die etwas brauchen, oder die Nachbarin, und dann kommt der Bürgermeister und fragt: „Ihr Landfrauen, macht ihr den Apero zum nächsten Festtag?“ Und man sagt: „Toll, klar, das machen wir.“ Und bekommt dafür aber nichts als Gottes Lohn. Erst kürzlich hatten wir eine Anfrage für ein Buffet. Da haben die Leute uns klar gesagt, sie hätten nur ein geringes Budget und wenn sie das beim Bäcker bestellen, wäre das viel zu teuer, deshalb haben sie bei den Landfrauen gefragt. Das haben wir dann nicht gemacht. Denn wir machen die Sachen ja schon gerne – aber die Wertschätzung muss halt da sein. Und die ist halt nicht mit einem Dankeschön getan.
Hatten Sie vor Ihrem Entschluss schon einmal von Frauenstreiks gehört – oder kennen Sie die „Lohn-für-Hausarbeit-Kampagne“ aus den 1970ern?
LB:
Da muss ich sagen: Das ist lange Zeit an mir vorbei gegangen. Ich habe 4 Kinder groß gezogen – und es waren immer nur die Kinder und der Betrieb im Mittelpunkt. Aber jetzt habe ich das Amt und die Möglichkeit, mich zu informieren, und jetzt tu ich das und rede darüber. Denn ich habe das Gefühl, das muss mal jemand aufs Tapet bringen. Früher dachte ich immer, das ist uns Frauen in der Natur so gegeben – wenn es darum geht, vorne hinzustehen und dazu zu stehen, was man gesagt, dass man das halt nicht so gerne macht. Aber es ist halt die Erziehung. Es ist so überliefert über die Generationen. Aber das kann man auch ändern.
Haben Sie das in Ihrer eigenen Familie schon anders transportiert? Bzw. wie nimmt ihre Familie ihr Engagement auf?
LB:
Wir haben zu Hause auch unsere Muster. Wir haben ein Mädchen und drei Jungen – und gerade beim Jüngsten, der jetzt die Landwirtschaftslehre beginnt, merke ich; der hat so viel vom Vater und Großvater auch in seinem Verständnis, wie die Rollenverteilung geregelt ist. Da krieg ich manchmal fast Schübe. Wir sprechen das natürlich an und ich sag ihm, dass eine Frau das nicht so gut finden wird, und lachen dann auch darüber – aber das sitzt so tief...
Gerade war ich 4 Tage weg. Ich fahre ja öfter mal mit meinen Frauen weg für ein paar Tage. Früher war es so, dass meine Tochter für Ordnung gesagt hat, bevor ich zurück gekommen bin. Aber jetzt ist sie nicht mehr am Hof. Und trotzdem war Ordnung und sauber. Da habe ich sie gelobt. Nur mit der Ordnung im Keller mit dem Sortieren sind sie noch nicht so geimpft, das mache ich besser selber. Aber eigentlich machen sie das eh alles gerne, haben sie sogar gesagt. Ich selber mache das auch gerne – und ich hoffe, dass ich das auch so weiter geben kann. Ich muss mich nur selber immer wieder an der Nase nehmen, dass ich nicht einfach so abspule, wieder so zu tun wie immer, nämlich alles zu machen. Weil dann ist es einfach zu viel.
Und wie haben die Landfrauen auf den Streikaufruf reagiert?
LB:
Viele haben positiv reagiert – aber es gibt Viele, die das falsch verstehen. Ich merke: wenn ich ein persönliches Gespräch führe mit den Frauen, dann verstehen sie es auch. Das Problem ist das Wort ‚Streik‘. Das ist sehr dunkel behaftet. Es ist das, was viele Frauen abschreckt. Entscheidend ist, dass Frauen merken, dass wir nicht aggressiv sind oder Parolen schreiben oder provozierend vorgehen. Wir machen diesen Sitzstreik letztendlich, aber wir sind ganz friedlich. Wir haben unser Essen und Getränk dabei und machen einfach nichts. Und zeigen uns. Das ist mir eigentlich das Wichtigste. Wir forder auch nicht groß – wir fordern höchstens die Frauen auf: habt den Mut, setzt euch hin, lasst euch auf Diskussionen ein und überlegt, was sind eure Wünsche. Mir war wichtig, dass keine Frau etwas vorbereiten muss, einmal nichts backen oder so. Die Landfrauen tun ja sonst schon immer so viel.
Manche Frauen waren aber schon auch ablehnend. Wir haben das zwar im Vorstand gemeinsam beschlossen, sonst hätte ich das auch nicht gemacht. Aber die Mitglieder können da nicht alle so mit. Die haben Angst, dass wir die Männer angreifen – und sagen, es sei grundsätzlich gut so, wie es sei und es gab auch Drohungen, dass sie aussteigen aus dem Landfrauenverband. Ich habe böse Mails bekommen, dass wir da den Geschlechterkrieg anzetteln. Aber das ist nicht, was wir wollen. Wir wollen, dass jede Frau selber ihre Rolle hinterfragt. Und dass sie aus ihrer Opferrolle rauskommt. Aber das muss jede selber machen für sich.
Ich hab auch von Männern Mails bekommen – aber die waren so ohne Niveau, die habe ich gelöscht. Manche Männer sagen ja: „Die Frauen sollen erst mal zum Militär.“ Ich habe erfahren, in solchen Fällen nützt argumentieren nichts – darüber muss man hinweg lächeln. Es dröhnt schon so hilflos, wenn sie mit diesem Argument kommen. Das kommt halt dann, wenn ihnen sonst nichts mehr einfällt. Das ist scheinbar die Angst, den Frauen da mal die Macht zu überlassen. In den Kommentaren zu einem Artikel über mich, wo ich das gesagt habe, hat eine Frau etwas sehr Gutes geschrieben: „Das wäre ja noch schöner, wenn wir da auch noch mitmachen müssten – das haben ja nicht wir erfunden.“
Da muss man auch umdenken und sich klar sein, dass man es nicht allen recht macht. Das muss man schon lernen.
Was genau wollen sie mit dem Streik erreichen?
LB:
Ich denke, es ist jetzt mal ein kleiner Schritt in eine Richtung, in der viel gemacht werden muss. Und danach hoffe ich, dass das weiter Thema bleibt. Einfach diese Stärkung der Frauen – auch im Politischen sich zu engagieren und sich selber etwas wert zu sein. Wenn man „bloß Hausarbeit“ macht – das ist ja eine Diskriminierung unter den Frauen selber. Das muss aufhören. Jede macht das, was für sie am besten ist.
Es gäbe so gute Möglichkeiten. Einfach anerkennen, dass es Frauen gibt, die mehr der Typ sind für zu Hause bleiben oder auswärts arbeiten gehen. Auch die Frauen untereinander. Wir streiken zusammen mit dem katholischen Frauenverband. Es wäre so wichtig, dass die Frauenorganisationen mehr zusammen machen würden, im großen Ganzen, sich mischen und miteinander. Dann findet man viel bessere Lösungen. Das braucht eine Offenheit – auch von den Landfrauen. Aber von allen Seiten. Da muss man in der Zukunft ganz fest dranbleiben.
Ich denke, wir gehen schon in die richtige Richtung. Wir können sehen: wir haben Fortschritte gemacht. Aber vielleicht geht es zu wenig schnell. Da ist so ein Streik gar nicht schlecht. Da kommt das wieder auf – und gibt wieder Schub.
Gibt es Forderungen, die über die Bewusstwerdung hinaus gehen?
LB:
Unser Dachverband hat Forderungen an den Bauernverband gestellt, dass jeder Betrieb verpflichtet ist, jeder Frau ihren Lohn zu bezahlen und ihre Abfindung und dann auch ihre Pension. Der Dachverband hat gefordert, dass das an die Direktzahlungen gekoppelt wird. Die Forderung, wurde aber abgeschmettert. Sie galt aber nur für die Arbeit im Betrieb. Aber das Hauptproblem dabei war: die Löhne in der Landwirtschaft sind so klein, dass sie kaum für eine Person reichen – und das ist dann halt der Mann.
Wir raten aber dazu, dass Frauen trotzdem ihre Arbeitszeit dokumentieren. Damit sie etwas vorweisen können, wenn sie sich scheiden lassen wollen oder so. Aber es machen so wenige. Immer steht der Betrieb im Mittelpunkt. Junge Frauen kommen auf den Betrieb und denken sich, alles wird gut. Ich rufe aber auf: Schaut, dass ihr eine Taggeldversicherung macht. Und schreibt eure Stunden auf. Das ist wichtig. Aber das mit der Versicherung machen noch nicht einmal die Männer. Da werden lieber teure Maschinen gekauft von dem Geld, aber niemand denkt daran, dass die dann keiner bedienen kann, wenn mal jemandem etwas passiert.
Und ich sage auch immer, dass die Frauen wählen gehen sollen und dass überhaupt mehr Frauen politisch tätig werden. Ich wurde oft gefragt: „Hat es keinen Platz für Frauen in der Politik?“ Doch, den hat es! Es müssen nur mehr Frauen wollen und tun. Es wäre wirklich gut, wenn gleich viele Frauenstimmen dazu kommen wie Männerstimmen. Ist ja logisch, sonst wird halt nie eine Politik für die Frauen gemacht.
Das klingt jetzt aber nicht so unpolitisch, wie Sie das am Anfang gesagt haben.
LB:
Der Landfrauenverband ist über-parteiisch, das steht so in den Statuten. Bei mir hat es sich jetzt gerade so ergeben, dass ich auf einer Liste kandidiere für den Nationalrat. Ich bin CVP , also Mitte. Früher war ich sogar einmal SVP. Aber auch so aus Gewohnheit, weil meine Familie immer SVP war. Aber ich bin mit meinem Mann vor ein paar Jahren ausgetreten, weil das für mich einfach nicht mehr gestimmt hat.
Ich kandidiere jetzt für eine bäuerliche Unterliste. Viele haben gesagt, das müsste nicht sein. Aber jeder Mensch hat seine Gesinnung. Jede_r fühlt sich an einem bestimmten Ort wohler. Und wenn man fair miteinander umgeht ist es so, dass Demokratie gewinnt.
Und wie sieht es mit dem Streik am 14.6. aus? Betrachten Sie den auch als politisch?
LB:
Bei dem Streik ist mir ganz wichtig, dass wir alle zusammen tun. Wir streiken ja auch zusammen mit den katholischen Frauen. Eine Zeitlang hatte ich fast Angst, dass ich alleine da sitze. Jetzt weiß ich, die katholischen Frauen kommen auch und noch 20, die fest zugesagt haben, dass sie kommen. Wünschen würde ich mir 50-80. Aber viele sagen, es ist Saison. Viele sind bei der Ernte und Turnfest ist auch in Aarau. Ich lasse mich überraschen – und weiß, dass ich nicht alleine da sein werde. Im Vorstand haben wir den Streik zwar gemeinsam beschlossen – aber ich fühle mich so, als wäre ich Einzelkämpferin. Sie lassen mich das ausbaden. Und alle werden sicher nicht kommen.
Betrachten Sie die Initiative als beispielgebend?
LB:
Ablehnend habe ich nichts gehört – aber ich weiß von keinem anderen Kanton, der eine Aktion plant. Nur, dass teilweise Bäuerinnen sich irgendwo anschließen, aber eigene Aktionen haben sie nicht geplant.
Aber vor Kurzem hat die Präsidentin des Schweizerischen Landfrauenverbandes angefragt, ob sie bei uns mitmachen kann. Das freut mich sehr! Ich habe vorher schon Rücksprache gehalten, ob der schweizerische Verband dahinter steht. Die haben gleich gesagt, sie geben uns Rückendeckung. Aber dass Präsidentin kommt, das ist ganz neu – das werde ich auch so kommunizieren an die anderen Frauen. Na, und vielleicht kommt sogar jemand vom Bauernverbund? Der Streik ist ja für Männer nicht verboten….
Veröffentlicht: 21. Juni 2019