Werkstatt Frieden und Solidarität: EU-Regierung wird fortgesetzt
Kritische Analyse des Regierungsprogramms
Die neue Regierung will die zentralen EU-Vorgaben - Aufrüstung und Neoliberalismus - weiter vorantreiben
Das Koalitionsübereinkommen von SPÖ und ÖVP liest sich seitenweise wie ein Rapport gegenüber EU-Kommission und EU-Rat. Immer wieder wird bekräftigt, dass die sog. Lissabon-Ziele der EU-Wirtschaftspolitik und die sog. ESVP (Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU) die unabdingbaren Leitlinien des Regierungshandelns sind. Unter anderem hält der Regierungspakt fest:
Volle Teilnahme an globalen EU-Militärmissionen - sogar ohne UNO-Mandat!
Volle Unterstützung des sog. „Headline-Goals 2010“. Dieses militärische Großziel sieht vor, dass die EU mit der Aufstellung von superschnellen Angriffsverbänden, den sog. EU-Schlachtgruppen („Battle-Groups“), sowie der Schaffung von Transportkapazitäten zur Luft und See (inkl. Flugzeugträger) und der Militarisierung des Weltraums bis 2010 die Fähigkeit zur globalen „netzwerkszentrierten Kriegsführung“ erreicht. Vorbild dafür sind die US-Kriege gegen Afghanistan und Irak.
Ausdrücklich will sich die SP/VP-Regierung für eine stehende EU-Armee stark machen.
Das Bundesheer wird weiter auf den Kurs getrimmt, in vollem Umfang an der EU-Militarisierung teilzunehmen: nach den Eurofightern, deren Ankauf indirekt außer Zweifel gestellt wird („Verträge müssen eingehalten werden“) werden neue Aufrüstungsschritte im Bereich Transport und Aufklärung angekündigt. EADS wird sich freuen.
Alle befristeten und unbefristeten Berufssoldaten sollen in Hinkunft zu Auslandseinsätzen verpflichtet werden.
Auch die sog. Lissabon-Strategie der EU wird zur unbedingten Richtschnur der österreichischen Wirtschafts- und Sozialpolitik erklärt. In der Lissabon-Strategie haben sich die EU-Chefs auf ein glasklar neoliberales Programm verständigt, das bis 2010 durchgezogen werden soll. Wichtige Punkte darin sind die Liberalisierung der netzgebundenen Infrastrukturen (Gas, Strom, Post, Eisenbahn, etc.) sowie die Deregulierung von Arbeitsverträgen und Arbeitszeit. Ersteres bekräftigt das SP/VP-Abkommen („Schließung der Lücken im EU-Binnenmarkt“), zweiteres wird bereits konkretisiert:
Per Betriebsvereinbarung soll eine tägliche Höchstarbeitszeit von 12 Stunden und eine wöchentliche Höchstarbeitszeit bis zu 60 Stunden fast während der Hälfte eines Kalenderjahres (24 Wochen) ermöglicht werden. In betriebsratsfreien Betrieben soll das sogar durch Einzelvereinbarung erfolgen können.
Generelle Ermächtigung an den Kollektivvertrag, die tägliche Normalarbeitszeit auf 10 Stunden zu erhöhen.
Durchlöcherung des Kündigungsschutzes für Lehrlinge.
Ausdehnung der Ladenöffnungszeiten.
Anstelle der vollmundig angekündigten Armutsbekämpfung tritt die Bekämpfung der Armen und Arbeitslosen: So soll in Hinkunft die österreichweite Vermittlung von Jobs für Arbeitslose zumutbar sein. Also z. B. WienerInnen nach Vorarlberg und umgekehrt. Eine Verhöhnung für Studierende stellt der sog. Sozialdienst im Ausmaß von 60 Stunden dar, um von der Studiengebühr „befreit“ zu werden. Ärmere Studierende werden damit zu 6-Euro-Jobs vergattert, reichere können sich davon leicht freikaufen. Zigfach wird im Koalitionsübereinkommen die Nulldefizit-Ideologie des EU-Stabilitätspaktes beschworen und zur obersten Prämisse der Budgetpolitik erklärt. Da bei der Rüstung keinesfalls gespart werden soll und mit einer Steuerreform der „Wirtschaft“ zusätzliche Entlastungen versprochen werden, ist weiterer Sozialabbau vorprogrammiert. Resümee: Die Politik der bisherigen Regierung wird fortgeführt: Statt Arbeit und Reichtum gerechter zur verteilen - durch höhere Kapital- und Vermögenssteuern, durch Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich - wird der Druck auf Beschäftigte und Arbeitslose noch mehr erhöht.
Das neue Regierungsprogramm zeigt einmal mehr die massive Entdemokratisierung, die über die EU-Ebene durchgesetzt wird. Die Machteliten, insbesondere der großen Nationalstaaten, haben sich damit eine zweite Herrschaftsebene geschaffen, auf der sie die grundlegende Richtung außer Streit stellen: Aufrüstung und Neoliberalismus. Es verwundert daher auch nicht, dass SPÖ- und ÖVP-Granden im Koalitionspapier wieder ein Bekenntnis zur EU-Verfassung ablegen, die die Verpflichtung aller EU-Staaten zur „schrittweisen Verbesserung der militärischen Fähigkeiten“ und zu einer Wirtschaftspolitik „der offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ in Verfassungsrang einzementieren will. Zur Erfüllung dieser Vorgaben werden schamlos Versprechen gebrochen und die Lüge zur permanenten Geschäftsgrundlage des Regierungshandelns erhoben. So schafft es die neue Regierung tatsächlich, die volle Teilhabe an EU-Militärmissionen, EU-Schlachtgruppen und die Erfüllung des Headline-Goals 2010 als mit der Neutralität vereinbar und Ausdruck des „Friedensprojektes Europas“ darzustellen. Ein Lügenkanzler gibt das Staffelholz an den nächsten weiter.
Für die Werkstatt Frieden & Solidarität bestätigt sich, dass die demokratische Teilhabe der Menschen nur im scharfen Widerstand gegen die Europäischen Union, die ein Herrschaftsinstrument im Interesse von Konzern- und Großmachtinteressen ist, durchgesetzt werden kann. Zu diesem Widerstand wollen wir angesichts der neuen EU-Regierung in Österreich, die in neuem Gewand die alte fortsetzt, aufrufen und ermutigen. Mit unseren Kampagnen gegen Eurofighter, Neutralitätsdemontage und den Ausverkauf der öffentlichen Dienste wollen wir dazu nach Kräften beitragen.
Werkstatt Frieden & Solidarität, 12.1.2007
Veröffentlicht: 15. Januar 2007