WHO CARES?

Eine kurze Begriffsdarstellung rund um personenbezogene Arbeit von Dipl. Mus. Christine Braunersreuther

Care-Arbeit ist definitiv ein Bereich, über den mehr diskutiert und für den sich mehr engangiert gehört. Doch bei vielen Menschen scheitert dies schon im Ansatz, wenn es darum geht zu verstehen, was Care-Arbeit überhaupt bedeutet.

Warum übergaupt Arbeit in verschiedene Kategorien trennen?

Vor der Industrialisierung hat eine Trennung in die hier im Text dargestellten Kategorien von produktiver, reproduktiver, bezahlter oder unbezahlter Arbeit kaum Sinn gemacht. Denn zwar war die Erledigung der Arbeiten oft nach Geschlecht und/oder Alter getrennt, aber am Ende liefen sie immer „im Haus“ zusammen.[i]

Trennung von Produktionsarbeit und Reproduktionsarbeit zu Zeiten der Industrialisierung

Zu Zeiten der Industrialisierung wurde die Arbeit in ausserhäuslich und häuslich getrennt. Friedrich Engels prägte dafür den Begriff Reproduktionsarbeit. Er bezeichnete damit Tätigkeiten, die der „Erzeugung von Lebensverhältnissen, Nahrung, Kleidung, Wohnung“ und der „Erzeugung von Menschen selbst“, der „Fortpflanzung der Gattung“ dienen.[ii]

Gleichzeitig damit wurden die häuslichen und personenbezogenen Arbeiten gewissermaßen sexualisiert, nämlich den Frauen zugeschrieben. Clara Zetkin behandelt den Themenkomplex daher ausführlich in den 'Richtlinien für die kommunistische Frauenbewegung', die sie für den II. Weltkongress der III. Internationale 1920 vorbereitet hatte. Leider, wie sie nicht ohne Ärger darüber anmerkt, konnte „wegen Zeitmangels die Frauenfrage nicht, wie ursprünglich vorgesehen“[iii] behandelt werden.

Lange davor hatte jedoch schon die französische Sozialistin Flora Tristan 1843 auf die bedeutende Rolle der häuslichen Arbeit von Frauen für die Arbeier_innenschaft hingewiesen und gefordert: „Aber, Proletarier … befreit die letzten Sklaven, die noch in der französischen Gesellschaft verbleiben, verkündet die RECHTE DER FRAU...“. Denn: „Im Leben der Arbeiter bedeutet die Frau alles. … Aber welche Ausbildung, welche Bildung, welche Anleitung, welche moralische oder physische Entfaltung erhält die Frau aus dem Volk? Gar keine. … Anstelle sie zur Schule zu schicken, lässte man sie lieber als ihre Brüder daheim, weil man sie besser im Haushalt verwenden kann als Kindermädchen, zum Einkaufen, zum Kochen usw.“[iv]

Diskussionen um Reproduktion in der 'zweiten Frauenbewegung'

In den sog. 'zweiten Frauenbewegung' ab 1968 wurde die Diskussion um Reproduktionsarbeit maßgeblich vom 'Internationalen Feministischen Kollektiv', gegründet 1972 von Mariarosa Dalla Costa und Leopoldina Fortunati (I), Selma James (GB), Silvia Federici (I/USA) und Brigitte Galtier (F), geprägt. Ihre 'Lohn für Hausarbeit'-Kampagne wurde in Folge jedoch häufig missinterpretiert, von konservativen Frauen sogar völlig entgegen der Idee der Initiator_innen zur Zurückdrängung der Frau in ihren 'natürlichen' Arbeitsbereich im häuslichen Umfeld umgedeutet. 'Lohn für Hausarbeit' war jedoch nicht als realpolitische Forderung gedacht, sondern sollte vorweg Reproduktionsarbeit überhaupt als Arbeit sichtbar machen und als politische Perspektive den Zugang zu einem neuen Kampfterrain eröffnen. Mariarosa Dalla Costa schrieb etwa: „Es hat noch nie einen Generalstreik gegeben“, meint sie, denn: „Wenn sich die Hälfte der Bevölkerung zuhause in der Küche aufhält, während die andere Hälfte streikt, dann handelt es sich nicht um einen Generalstreik.“[v]

Das 21. Jahrhundert und die Care-Bewegung

Vor etwa zehn Jahren wurden die leider wieder leiser gewordenen Debatten um Reproduktionsarbeit um Diskussionen und Aktionen zur Care-Arbeit ergänzt. Doch was bedeutet eigentlich Care-Arbeit – warum wird hauptsächlich der englische Begriff verwendet und was unterscheidet sie von der Reproduktionsarbeit?

Dem Begriff der Reproduktion wesentlich ist, dass er weitgehend unbezahlte Arbeiten bezeichnet. Sowohl als theoretischer wie auch als politischer Kampfbegriff setzt er genau hier an. Eine aktuelle Definition liefert die Feministin Gisela Notz in einer Broschüre für die 'Bundeszentrale für politische Bildung': „Tätigkeiten jenseits der Lohnarbeit (oder einer anderen das Einkommen sicher stellenden Erwerbsarbeit), die zur Erhaltung der menschlichen Arbeitskraft einschließlich der Kinder notwendig sind, werden in der Soziologie als "Reproduktionsarbeit" definiert.“[vi]

Die Bezeichnung Care-Arbeit beinhaltet dagegen bezahlte wie unbezahlte personenorientierte Versorgungsleistungen[vii], die sich an den Bedürfnissen anderer Menschen oder der eigenen Person (Self-Care) orientieren. Gabriele Winker, Begründerin der Care-Revolution, betont, dass der Begriff nicht mehr oder weniger wichtig, auch nicht mehr oder weniger Kampfbegriff ist als der Reproduktionsbegriff. Lediglich wird nicht die Bezahlung in den Mittelpunkt gestellt, sondern stärker die Arbeitsinhalte in den Blick genommen, also das Erziehen, das Pflegen, das Betreuen, das Lehren und das Beraten, und der Beziehungsaspekt betont und nicht das reine Erhalten der Lebens- und Arbeitsfähigkeit.[viii] Winker sieht ihn auch als Solidarbegriff, da Care-Tätigkeiten, wenn sie nicht unbezahlt geleistet werden, meist nur prekär bezahlt werden.

Den Begriff Sorgearbeit verwende ich, im Unterschied zu Gabriele Winker, nicht. Denn ich finde, dass diese Übersetzung die emotional wahrgenommene Spannweite des Care-Begriffs nicht erfasst. Sorge ist tendentiell negativ konnotiert – mit sich Sorgen machen oder mit dienenden Hilfleistungen, wie jemanden umsorgen. Er umfasst jedoch nicht die Vielfalt semantischer Bedeutungen des Care-Begriffs, wie sie Prue Chamberlayne beschreibt: „caring about“ meint die emotionale, „taking care of“ die aktiv tätige Seite des Sorgens, „take care (of yourself)“ steht für den Zusammenhang mit Selbstsorge.[ix]

Der Reproduktionsarbeit gemeinsam hat die Care-Arbeit, dass sie weitgehend unsichtbar ist, wenn sie getan wird. Aber wenn sie nicht getan wird, ist das deutlich zu bemerken. Die Schweizer Ökonomin Mascha Madörin schlägt daher für einen Care-Arbeits-Streik die Bezeichnung 'Mess Guerilla'[x] vor.

[i]      Vgl. Komlosy, Andrea: Arbeit. Eine globalhistorische Perspektive 13. bis 21. Jahrhundert. Wien – promedia 2015

[ii]      Engels, Friedrich: Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats. Nachdruck von 1884. Berlin (Ost) – Dietz 1975, S. 28

[iii]      Zetkin, Clara: Kunst und Proletariat. Herausgegeben von Hans Koch. Berlin (Ost) – Dietz  1977, S. 114

[iv]      Tristan, Flora: Arbeiterunion, zit. nach: Hervé, Florence (Hg.): Flora Tristan oder: der Traum vom feministischen Sozialismus. Berlin – Karl Dietz 2013, S. 111 bzw. 116

[v]      Dalla Costa, Mariarosa: A General Strike (Original 1974). In: Freedman, Estelle B. (Hg.): The Essential Feminist Reader. New York – Modern Library 2007, S. 300-303

[vi]      Notz, Gisela:  Unbezahlte Arbeit. In: Bundeszentrale für Politische Bildung, http://www.bpb.de/themen/NZTUQ6.0,Unbezahlte_Arbeit.html, 2010

[vii]      Vgl. Rerrich, Maria S: Unsichtbar, unentbehrlich, uneinheitlich. Die Vielfalt der bezahlten Haushaltsarbeit von Migrantinnen. In: Dackweiler, Regina / Schäfer, Reinhild (Hg.): Wohlfahrtsstaatlichkeit und Geschlechterverhältnisse aus feministischer Perspektive. Münster – Westfälisches Dampfboot 2010, S. 78

[viii]      Vgl. Winker, Gabriele: Gabriele: Care Revolution. Schritte in eine solidarische Gesellschaft. Bielefeld – transkript 2015, S. 17

[ix]      Vgl. Chamberlayne, Prue: Fürsorge und Pflege in der britischen feministischen Diskussion. In: Feministische Studien 2, 1996, S. 47-60

[x]      'Mess' bedeutet dabei mehr als nur Unordnung, sondern ist eher mit 'Saustall, Dreck und Chaos' zu übersetzen.

Veröffentlicht: 28. Oktober 2016